Ein Nachruf von Bernd Haubitz
Klaus Wöldecke bei einer Präsentation von Großpilzen auf dem Umweltforum des Schulbiologiezentrums Hannover
Am 28.10.2014 starb an den Folgen eines Unfalls Klaus Wöldecke, der als Mitglied des Beirats, als Autor von vielbeachteten Publikationen in den Jahresberichten sowie als begeisternder Leiter von ihm inhaltsreich konzipierter Exkursionen die Aktivitäten und die Außenwahrnehmung der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover jahrzehntelang nachhaltig wirksam mitgestaltet und geprägt hat. Seine Urne ist im Familiengrab auf dem St. Nicolai-Friedhof in Hannover beigesetzt.
Klaus Wöldecke wuchs in der mentalen Atmosphäre und Geisteshaltung einer Pastorenfamilie auf, in seiner Kindheit und Jugend versah der Vater Herbert Wöldecke (1910–1985) sein geistliches Amt in Altenau, in Abbensen bei Edemissen im Kreis Peine sowie in Limmer bei Alfeld. Für den Sohn war zunächst ebenfalls die professio als Theologe angedacht und vorbestimmt. Bei Klaus Wöldecke überwog in der Entscheidungsphase nach dem Abitur am Ratsgymnasium in Peine das Interesse an den Naturwissenschaften, welche er zeit seines Lebens stets von seiner umfangreichen Bildung im Bereich der Geisteswissenschaften her reflektierte. Hieraus ergab sich für ihn die Entscheidung, für sein Berufsleben ein anwendungsorientiertes naturwissenschaftliches Tätigkeitsfeld zu suchen, er entschied sich für das Studium der Pharmazie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, welches er in den Jahren 1960 bis 1964 absolvierte.
Klaus Wöldecke war zunächst als Apotheker in Frankfurt tätig und schloss sein Berufsleben in der von ihm eigenverantwortlich geführten Marien-Apotheke in Wunstorf ab. Dazwischen lag eine für ihn entscheidende jahrzehntelange Arbeitsphase in der 1318 begründeten Ratsapotheke in Hildesheim. Seine Ehefrau Dorid Wöldecke war ebenfalls Apothekerin. Vom Nutzen der Freiberuflichkeit seiner Profession und anderer akademischer Heilberufe für die Gesellschaft und ein demokratisches Gemeinwesen war Klaus Wöldecke zutiefst überzeugt, was bewirkte, dass er zentrale Elemente der persönlichen Lebensführung wie Bankgeschäfte oder die Altersvorsorge auf institutioneller berufsständischer Basis tätigte und anlegte, er entwickelte aber nie Standesdünkel, sondern praktizierte arbeitstäglich Standesbewusstsein, das bei ihm einen besonders verantwortungsvollen, sensiblen und einfühlsamen Umgang mit seinen Kunden bewirkte, die er mehr als Patienten sah und für die er weit über die Aufgaben eines Apothekers hinaus Ratgeber und mutmachender Ermunterer war.
Den Weg zu und von seiner sehr traditionsreichen und altehrwürdigen Hildesheimer Arbeitsstätte legte Klaus Wöldecke stets mit der Bahn zurück. Er wohnte in einer großen Etagenwohnung in einem Haus, in welchem bereits seine Schwiegereltern gelebt hatten, im Stadtteil List in Hannover. Die arbeitstäglichen Bahnfahrten nutzte er systematisch zur Lektüre, wodurch er sich u. a. ein enzyklopädisches Wissen im Bereich der speziellen Botanik erwarb. Sein Hauptinteresse galt hierbei zunächst den höheren Pflanzen Mitteleuropas und in seinen späteren Jahren zunehmend angeregt von seinem Mentor, dem Heilpraktiker Gerhard Hoyer aus Hannover, den Großpilzen dieser Region. Darüber hinaus war Klaus Wöldecke mit einem weiten mentalen Horizont durch Lesen regionaler und überregionaler Tageszeitungen ungewöhnlich tiefgehend über Politik, Kunst- und Literaturgeschichte sowie Philosophie orientiert. So verwundert nicht, dass seine inhaltsreichen Publikationen stets Aspekte der Wissenschaftsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Leistungen in früheren Zeiten tätiger Naturforscher tiefschürfend umfassten.
Wer Gelegenheit hatte, längerfristig mit Klaus Wöldecke botanische Exkursionen zu unternehmen, bewundert auch retrospektiv gesehen seine besondere Technik, im Gelände zeitoptimiert gerade in seiner Arbeitsphase der Kartierung höherer Pflanzen und Großpilze Vollständigkeit der zu dokumentierenden Arten zu erreichen. Die Kartierungsarbeit führte er zunächst mit dem ihm befreundeten Prof. Dr. Henning Haeupler durch. Bis an das Ende seiner Exkursionstätigkeit waren handschriftliche Aufzeichnungen die Basis seiner Dokumentation, er entschied sich bewusst gegen Auto, Handy und Computer in seinem Lebens- und Arbeitsbereich einschließlich seiner Tätigkeit als „aficionado“ im Bereich der speziellen Botanik und Mykologie. Dieser Begriff der spanischen Sprache, der nicht nur jemanden charakterisiert, der einem Hobby nachgeht, sondern der mit hoher emotionaler und intellektueller Identifikation ein Arbeitsfeld außerhalb seiner Profession betreibt, trifft auf Klaus Wöldecke in besonderem Maße zu.
Legendär sind markante Erlebnisse, die man mit Klaus Wöldecke im Gelände haben konnte und die retrospektiv gesehen partiell unwiederholbar erscheinen. Man vergisst nicht die Begebenheit bei einer Umwanderung des Dümmers im Dauerregen, gelegentlich der er die Unpassierbarkeit stellenweise morastigen Untergrunds anhand der pflanzensoziologischen Konstellation des Seggenbestandes hochrelevant für einen guten Ausgang der Exkursion feststellte. Ein weiteres Beispiel für die besondere Technik Klaus Wöldeckes bei der Geländearbeit sei noch aus dem Bereich der Erfassung der Großpilze in Niedersachsen angefügt. Man hatte im Spätwinter im Rahmen einer Erkundungsexkursion in Süddeutschland Standorte des Steppentrüffels aufgesucht und Standortgegebenheiten dieser seltenen Großpilzart studiert. Bei der Rückreise regte Klaus Wöldecke einen Umweg über den Heeseberg im Landkreis Helmstedt an, wo er in Niedersachsen ähnliche Umgebungsfaktoren hinsichtlich Sonneneinstrahlung und Begleitvegetation kennengelernt und sich eingeprägt hatte. Bei geschlossener Schneedecke gelang ihm mithilfe einer kleinen Gartenschaufel und einer Handharke der Nachweis des Steppentrüffels in Niedersachsen unter der Bodenkrume des Heesebergs. Interessante Großpilze führte Klaus Wöldecke einer umfangreichen Sammlung von Exsikkaten zu, die er in seiner großen Wohnung in der Gabelsbergerstraße in Hannover neben einer ungewöhnlich umfangreichen Privatbibliothek beherbergte.
Im Lebensstil war Klaus Wöldecke durchweg bescheiden und nicht auf äußere Anerkennungen bedacht, jedwede Form von Personenkult war ihm zuwider. Gleichwohl war ihm unter dem Gesichtspunkt, dass dadurch das von ihm bearbeitete Gebiet der Verbreitung der Großpilze in Niedersachsen in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit gerückt wurde, die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes für herausragende Leistungen in der Pilzkunde an ihn und seinen Sohn Knut durch den damaligen Oberbürgermeister von Hannover Stephan Weil am 22.07.2010 eine besondere Freude.
So rundet sich das Lebensbild eines herausragenden Menschen, der weit mehr war als ein hochreputierter Heimatforscher hinsichtlich seiner Arbeitsschwerpunkte im Bereich der höheren Pflanzen und der Großpilze Niedersachsens. Für viele Mitglieder und Freunde der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover ist Klaus Wöldecke unvergessenes Vorbild und wird es bleiben.